Pensionierung
Vorsorgen statt hart landen
Der flexible Arbeitsmarkt bringt mit sich, dass sich ältere Arbeitnehmer vermehrt früh pensionieren lassen müssen. Das Beispiel von A. l. zeigt, welche Überraschungen auf einen plötzlich Entlassenen zukommen können.
Von Franz Kilchherr
Wegen Restrukturierungsmassnahmen müsse man auf seine Dienste verzichten, teilte der Direktor dem bald 59-jährigen Marketingleiter AL.* mit. Nach fünfzehn Jahren im selben Unternehmen hatte der Vater von drei noch in Ausbildung stehenden Kindern noch die Wahl, selber zu kündigen oder entlassen zu werden. Er liess sich kündigen. Der von der Entlassung überraschte A.L. hatte nur eine kurze Bedenkzeit erhalten. Genug jedenfalls, um zu erfahren, dass es einerseits für einen 59-Jährigen beinahe unmöglich ist, eine neue Stelle zu finden, und dass es anderseits weniger Schwierigkeiten gibt, als Entlassener Leistungen der ALV zu beziehen.
Ein neuer Lebensabschnitt
AL. spürte, dass unfreiwillig ein neuer Lebensabschnitt begann. Nicht nur verlor er seine gewohnte Arbeit, auch auf einen Teil seines Einkommens mussten er und seine Familie verzichten. Eine Zeit der Ungewissheit begann: Kann er seinen gewohnten Lebensstandard bewahren? Kann er das Einfamilienhaus halten? Kann er für die Kosten seiner in Ausbildung stehenden Kinder aufkommen? Was geschieht mit seinen Pensionskassengeldern? Wie hoch ist das Einkommen aus der ALV?
Da er nie eine frühzeitige Pensionierung in Betracht gezogen hatte, fehlten ihm auch Zusatzversicherungen, die ihm die drohende Einkommenslücke mit Überbrückungsrenten hätten ausfüllen können. Erst als seine Pensionskasse ihn aufforderte, in einer persönlichen Erklärung anzugeben, was mit der Freizügigkeitsleistung geschehen soll, befasste er sich mit seinen angesparten Geldern. Die Adresse einer neuen Pensionskasse konnte er nicht angeben, Barauszahlung kam nicht in Frage, da er nicht die Absicht hatte, eine selbständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder die Schweiz zu verlassen. Es blieb ihm nichts übrig, als ein Freizügigkeitskonto oder eine -Police einzurichten.
Finanzielle Neuorientierung
Doch beim genauen Prüfen des Versicherungsvertrags der Pensionskasse stiess er auf einen Passus, in dem ŤLeistungen bei unverschuldeter Entlassungť beschrieben werden: ŤWird eine versicherte Person nach Vollendung des 50. Altersjahres und vor Vollendung des 60. Altersjahres unverschuldet entlassen und findet sie trotz nachgewiesenen Bemühungen keine zumutbare Arbeit, kann sie anstelle einer Freizügigkeitsleistung Anspruch auf eine Rente erheben, falls das Dienstverhältnis ununterbrochen drei Jahre gedauert hat.
Die Rente, so die Versicherung, werde mit dem Umwandlungssatz für das 60. Altersjahr berechnet. Zudem sei der ehemalige Arbeitgeber verpflichtet, die Pensionskassen-Beiträge weiter zu bezahlen, seine eigenen Beiträge würde die PK selber über- nehmen. Diese Tatsachen bewogen L., die Rente zu beantragen, denn so wuchs sein Sparguthaben weiter und mit ihm die Höhe seiner Rente. Da auch ein Überbrückungszuschuss durch die Pensionskasse bis zum 60. Lebensjahr ausgerichtet wird und er für seine in der Ausbildung stehenden Kinder eine ŤAlterskinderrente» erhalten wird, sah die unmittelbare finanzielle Zukunft plötzlich weniger düster aus. Die so berechnete Rente -Grundrente plus Überbrückungszuschlag plus drei Kinderrenten -war sogar um einiges höher als der Betrag, den er von der ALV zugute hatte.
Rente und Arbeitslosengeld?
Doch daraus ergaben sich neue Fragen: Bewirkt die Rente eine Kürzung des ALV-Geldes oder fällt sie möglicherweise ganz weg? Ein Passus im Versicherungsvertrag mit der Pensionskasse besagt: ŤDie Leistungen der ALV, auf welche die versicherte Person Anspruch hat, gehen den Leistungen der Pensionskasse vor.ť Dies bedeutet, dass AL. die Leistungen der ALV beziehen kann und dazu noch die Differenz zu den Leistungen der Pensionskasse. Er hat sich jedoch weiter um Arbeit zu bemühen, damit er in den Genuss der Leistungen der ALV und damit auch der Pensionskasse kommen kann.
AL. kann seiner Frühpensionierung zuversichtlicher entgegensehen. Dank den ŤAlterskinderrentenť , die gemäss BVG 20% der Altersrente ausmachen, ist das Überleben bis zu seinem AHV-Alter einigermassen gesichert. Eins möchte A.L. allen Arbeitnehmern ans Herz legen: «Da in den letzten fünf Jahren im Arbeitsprozess sich 20 bis 30% des PK-Guthabens bilden, ist es wichtig, sich schon frühzeitig über eine eventuelle Frühpensionierung Gedanken zu machen. Schon mit vierzig, spätestens mit fünfzig Jahren sollte man beginnen, sich ein Sparkapital anzulegen, damit eventuell entstehende Einkommenslücken aufgefangen werden können.» A. L. betont nochmals, dass es ihm nur dank den «Alterskinderrenten» möglich sei, ohne gravierende Einbusse an Lebensqualität über die Runden zu kommen.
Wissenwertes zur Frühpensionierung
Beispiel Frühpensionierung ohne Vorbezug von PK- und AHV-Leistungen
Ein Arbeitnehmermit einem Jahreslohn von Fr. 80000.– erhält bei einer normalen Pensionierung folgende Renten:
. Jahreslohn: Fr. 80000.–
. BVG-Rente ab Alter 65 (Annahme 70% Einkommen): Fr. 56000.–
. AHV-Rente an Alter 65 (Annahme Maximalrente): Fr. 24720.–
Bei einer Frühpensionierung muss der Frühpensionierte jährlich folgende Beiträge an die Vorsorgeeinrichtungen bezahlen, damit die Renten nicht gekürzt werden:
. BVG (Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Anteil): Fr. 12000.–
. AHV (Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Anteil): Fr. 10000.–
(Der Frühpensionierte verzichtet zudem auf einen Jahreslohn von Fr. 80000.–!).
Lebenslange Kürzungen des Altersleistungen bei vorzeitigem Bezug
. Wer PK-Gelder vorbezieht, muss in jedem Fall eine Kürzung der Altersleistung in Kauf nehmen. Je nach PK wird die Rente für jedes Vorruhestandjahr um vier bis vierzehn Prozent gekürzt.
Wer die Leistungen der AHV vor dem ordentlichen AHV-Alter bezieht, muss für jedes Vorbezugsjahr eine Rentenkürzung von 6,8 Prozent in Kauf nehmen (für Frauen gilt eine Sonderregelung).
Vorzeitige Pensionierung und Arbeitslosengeld
Das Eidgenössische Versicherungsgericht hält in einem Entscheid vom 25. September 2000 fest, dass vor der Pensionierung geleistete Beitragszeiten nur dann angerechnet werden können, wenn die betroffene Person zwar weiter arbeiten möchte, aufgrund des Vorsorgereglementes ihrer PK zum vorzeitigen Ausscheiden gezwungen ist. In die gleiche Kategorie fallen auch Arbeitnehmer, denen aus wirtschaftlichen Gründen gekündigt wurde und die deshalb früh pensioniert werden.
Kapital oder Rente?
Bei einer Frühpensionierung ist neben einer Rente je nachdem auch eine Kapitalauszahlung möglich. Beide Varianten haben ihre Vor- und Nachteile. Wenn das Alterskapital ins Vermögen fliesst, bleibt es der Familie, bedingt aber eine intensive Bewirtschaftung des Geldes. Die Auszahlung einer Rente ist wesentlich einfacher und sicherer; sie ist von den PK lebenslänglich garantiert, meist wird auch die Teuerung ausgeglichen.