1850: 30 Häuser
Noch 1850 war im heutigen Gundeldinger-Quartier eine grüne, fruchtbare Ebene. Nicht mehr als 30 Häuser wurden dort gezählt. Es war eine Brache, eine Landreserve im Süden von Basel. Dies begann sich erst zu ändern, als 1860 der Centralbahnhof entstand. Nun zog das praktisch unbebaute, riesige Areal zwischen Bahnhof und Bruderholzhügel mehr und mehr Interesse auf sich.
Süddeutsche Immobilien-Gesellschaft
«Gedeihliche Ausdehnung unserer Stadt» «Den entscheidenden Antrieb für diese Entwicklung gab die Süddeutsche Immobilien-Gesellschaft, die, eine typische Schöpfung der nach dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges anhebenden Gründerzeit, 1871 ins Leben gerufen worden war», schrieb Gustav Adolf Wanner 1974 zur 100-Jahr-Feier des Gundeli in den Basler Nachrichten.
Carl Stehlin-Merian
1872 reichte Carl Stehlin-Merian, der erste Präsident des Bankvereins und späterer Basler Ständerat, das Gesuch ein, die Süddeutsche Immobilien-Gesellschaft hier geschäften zu lassen. Da sich das Handels-Collegium von der Tätigkeit der Gesellschaft «eine rationelle und gedeihliche Ausdehnung unserer Stadt» versprach, hiess die Regierung am 7. Dezember den Antrag gut. Seit der Gesuchstellung waren nur gerade 12 Tage vergangen.
1872-1874
Das Mainzer Unternehmen machte sich in der Folge daran, den sechs vormaligen Grundbesitzern das Land abzukaufen. Da kaum auf bestehende Strukturen Rücksicht genommen werden musste, legten die Planer einen Stadtteil mit drei durchgehenden Längsstrassen und vielen Querstrassen an, so dass das bis heute auffällige Gittermuster entstand. Diese Anlage sollte einer möglichst effizienten Nutzung des Areals ebenso dienlich sein, wie dem öffentlichen Verkehr. In erster Linie war die Immobilien-Gesellschaft aber an der «rationellen Parcellierung» interessiert. Die Gebäudezeilen wurden immer randständig angelegt, so dass innerhalb der Gevierte Höfe entstanden, die vornehmlich gewerblich genutzt werden konnten.
Carl Stehlin-Merian hob dabei hervor, dass das von der Gesellschaft vorgeschlagene Strassennetz auch hinsichtlich der Breite der Strassen und Baulinien «aus dem Rahmen gewöhnlicher Spekulation» heraustrete und von vornherein alle in dieser Hinsicht zu stellenden Anforderungen berücksichtige.
Ehrgeiziges Ziel für die Bauzeit
Die Absicht der Mainzer war es offensichtlich, eine Investition in die zu entstehende kleine Stadt so attraktiv zu machen, dass sie all das Land möglichst rasch wieder gewinnbringend würde verkaufen können. Die einfache, rechtwinklige Regelmässigkeit wurde schliesslich von der Regierung akzeptiert.
Bau 1874 - 1901
Am 1. Juni 1874 genehmigte der Grosse Rat den Überbauungsplan für das Quartier. Damit wurde die Gesellschaft dazu verpflichtet, Strassen und Plätze anzulegen. Am 25. Juni erfolgte die Unterzeichnung des Abkommens. Ursprünglich war es das Ziel der Mainzer, das Gundeli innert zehn Jahren zu überbauen. Das war zu optimistisch. 1885 wurde das Consortium in eine Aktiengesellschaft, die «Gundoldinger Terrain-Gesellschaft» umgewandelt, mehr und mehr übernahmen nun Basler Kaufmänner und Investoren die Kontrolle. Ende 1893 entstand die «Neue Gundeldinger Terrain-Gesellschaft», die schliesslich bis 1901 ihren gesamten Besitz veräussern konnte und liquidiert wurde. Innert weniger als dreissig Jahren war damit ein neuer Stadtteil gebaut worden.
Keine Mainzer-Strasse
Anzuhängen an diese Geschichte gibt es zuerst einmal den Streit um die «Mainzer Strasse». Das ursprüngliche «Collegium» hatte dem Bürgermeister und dem Rat der Stadt beliebt machen wollen, die dritte Längsstrasse neben der Gundeldinger und der Güterstrasse «Mainzerstrasse» zu nennen. Die Regierung stimmte diesem Vorhaben nicht zu. Sie zog Dornacherstrasse vor. Das war aber laut Gustav Adolf Wanner nicht einfach eine Referenz an das Dorf im Birseck, sondern muss vor dem damaligen politischen Hintergrund betrachtet werden: Mit der Namensgebung sollte nämlich vor allem an die Schlacht bei Dornach (1499) erinnert werden. Und diese patriotische Anwandlung versteht nur, wer weiss, dass damals der Kampf um die neue Bundesverfassung voll entbrannt war, die der Souverän schliesslich in einer denkwürdigen Abstimmung 1874 guthiess.
Wegen Kampf um neue Bundesverfassung: Patriotische Namen
Vom Patriotismus getragen, taufte man weitere Strassen und Plätze im neuen Quartier historisch bewusst: Sempacherstrasse, Winkelriedplatz und Tellplatz! Das neue Quartier hiess trotz der nie zustande gekommenen «Mainzerstrasse» im Volksmund noch lange das «Mainzer Quartier».
Mainzer Quartier • Katholische Hochburg • Gündülü
Dann galt es vorübergehend, dank all den Zuzügern aus der Innerschweiz, die mit Bahn und Post nach Basel gekommen waren, als «katholische Hochburg», bis es schliesslich in jüngerer Zeit im Volksmund wieder einen anderen Übernahmen erhielt: Aus Gundeli wurde scherzhaft «Gündülü» eine Anspielung auf den relativ hohen Prozentsatz von Einwanderern aus der Türkei. Gemäss Zahlen des Statistischen Jahrbuches betrug der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung im Jahr 2001 38,2 Prozent. Damit wird das Gundeli nur noch vom unteren Kleinbasel übertroffen.
Der Text erschien in den BDinfos 1/2004
Autor: Markus Wüest, Journalist und Historiker